Von Dominik Dusek
Wie sagt man es, ohne pathetisch zu werden? Vielleicht so: Es gibt Menschen, für die scheint ein Leben definitiv zu wenig zu sein. Sie stecken so voller Ideen und Taten, dass man nicht ganz begreift, wie sie mit 24 Stunden pro Tag auskommen können. Das mag sich dick aufgetragen lesen, aber andererseits ist es ein nüchterner Sachverhalt. Der 63-jährige, mit seiner Familie auf knapp tausend Meter Seehöhe in einem umgebauten, uralten Bauernhaus des Berner Voralpenlandes lebende Maler und Geschichtenerzähler Timmermahn gehört jedenfalls zu diesen Menschen.
Fangen wir mit dem Motorradfahren an. Früher fuhr Timmermahn, wenn er zwei seiner Bilder verkaufen konnte, gerne einmal los, Richtung Süden, nach Stromboli vielleicht, und blieb dort ein paar Monate, so lange das Geld eben reichte. Heuer wird seine Bikergang Timmsfield erstmals richtig organisierte Touren leiten für Menschen, die ihren sozialen Status für einige Wochen vergessen und an einem kleinen Gruppenabenteuer teilnehmen wollen. «Wenn du in den USA auf einer dieser ewig geraden Strassen fährst», erzählt Timmermahn, «dauert es 15 Minuten, und du bist in Trance. Du hast das Gefühl, im Mittelpunkt zu sein, die Erde wird von deinen Rädern bewegt.» Mitverantwortlich dafür seien auch die tiefen Bässe des Motors.
Überhaupt: Dieser Sound! Gerne erzählt Timmermahn die Geschichte, als er sich einmal bei offenen Fenstern und weit aufgedrehter Lautstärke ein Formel-1-Rennen ansah. Hinter seinem Rücken seien etliche Schwalben ins Zimmer geflattert und hätten sich, «von irgendeiner Frequenz angelockt», auf dem Kabel der Deckenlampe niedergelassen.
Beim Malen, auf dem Dachboden des Bauernhauses, ist das wieder ganz anders. Da mag Timmermahn die Stille, die es ihm ermöglicht, das feine Geräusch des Pinsels auf der Leinwand ganz genau zu hören. Er betont, keinen Stil zu haben, zu malen, «wies grad kommt», und doch haben seine Bilder etwas stark Pop-Artiges. Knallige Farben, fantasievolle, aber einprägsame Sujets und immer wieder Figuren aus der modernen Kulturgeschichte. Laurel und Hardy, Donald Duck, Ringo Starr.
Nackte Mäuse
Aber über seine Kunst im deutungstechnischen, philosophischen Sinn will Timmermahn, der «Mann des Wortes», gar nicht so gerne reden. Lieber erzählt er eine weitere Geschichte: US-Amerikaner seien zu ihm ins Haus gekommen, um einen Hund aus der Zucht seiner Frau zu erwerben. Dann hätte ihnen eine Bilderserie mit nackigen Mickymäusen gut gefallen. Sie hätten sie aber leider nicht gekauft, weil: «So etwas können sie in ihren Einfamilienhäusern nicht an die Wand hängen. Das gäbe Probleme mit den Besuchern, obwohl die Mäuse gar nichts Unanständiges machen. Sie sind halt nackt.»
Viele solcher Geschichten hört man, wenn man mit Timmermahn spricht. Auch über wilde Zeiten, über dem Körper zugeführte Fremdstoffe, über Theater, Musik, Performances, eine geplante Sechstagelesung im Hallenstadion. In seinen aufgeschriebenen Geschichten spielt das Landleben oft eine grosse Rolle. Timmermahn hat alles von Gotthelf gelesen. Aber seine Storys wären schon recht ins «Schräge» gezogen, so wie sein Märchen vom Rotkäppchen. Und jetzt ist hier kein Platz mehr. Für Timmermahn ist eine knappe Zeitungsseite eben auch definitiv zu wenig.
[ZT 11.01.2006]