Planet Timmermahn
Stories aus tapferen Welten
Wenn Timmermahn liest, wird die Welt gleich besser. Weil es nicht mehr diese Welt ist. Sie wird zum Planeten Timmermahn. Hier hat es den Platz, der auf dieser Welt fehlt. Unendlich viel Raum für masslose Geschichten aus vielen kleinen, tapferen Welten. Für wilde Stories über verbockte Köpfe und ihr herzensgutes Tun. Für seelenwärmende Erzählungen über unverdrossene Kämpfer und mutige Verlierer. In diesem prallen, unvergleichbaren Sprach-Universum werden dreiste Lügen zu unverrückbaren Wahrheiten. Scheinbar einfache Begebenheiten zu grandios ausschweifenden Betrachtungen über Schein und Sein. Gebrochene Tabus zur schlichten Normalität. Denn Timmermahn hat keine Angst vor nichts und niemandem, erst recht nicht vor sich selber. Um diesen einmaligen Planeten zu schaffen, braucht er nicht viel. Stuhl und Tisch, ein bisschen Licht, vielleicht ein Mikrofon. Bei Gelegenheit unterlegt eine entsprechende Bildperformance seine in breitestem Berndeutsch vorgetragenen Stories. Timmermahn live und neu auch auf CD heisst beste, ureigenste Lesekunst mit höchstem Unterhaltungswert.
Jüre Hofer
Timmermahn und seine Geschichten
Ein wahrer Propaganda-Text
Sitzt Timmermahn auf einer Bühne, ist er weit mehr als der begnadete Vorleser seiner eigenen Geschichten. Er ist der Einstein der Surealitätstheorie, der das Groteske zur natürlichsten Sache der Welt erklärt. Ein Schöpfer von Wortwelten, stark und schillernd und seelenvoll wie die Bilder, die er im wirklichen Leben malt.
Timmermahn ist ein Erzähler vor dem Herrn, dem nichts heilig ist. Doch dieser Text-Casanova der verbalen Masslosigkeiten haut mit soviel inhaltlicher Sanftmut und Zärtlichkeit auf den Büchertisch, dass einem immer nur warm ums Herz werden kann. Denn hier gibt nicht der Wahnsinn dem Genie die Hand, sondern Liebe, Spass und Phantasie.
Die tiefe, tragende Stimme und sein breiter, Berndeutscher Dialekt machen Timmermahn zum literarischen Ikarus des Bodenständigen. Unvermittelt hebt er immer wieder ab und nimmt uns mit auf seinen leidenschaftlichen Flug durchs wilde Absurdistan, das im Alltäglichen wurzelt. Hier pflückt Timmermahn seine Geschichten, die nicht unbedingt das Leben schrieb. Geschichten aber, die Lust auf dieses Leben machen, weil sie es nicht allzu ernst nehmen.
Jüre Hofer
Derbes aus dem Schiffskino
Von Ane Hebeisen
Der Berner Geschichtenschnitzer Timmermahn erfindet Märchen, die man keinem Kind erzählen darf. Im Bären Buchsi hat er seine erste Geschichten-CD vorgestellt.
Ein Happening von höchstem Unterhaltungswert.
«Liebi Lüt vo Stadt und Land.» Mit diesen freundlichen Worten begrüsst der Geschichtenerfinder Timmermahn sein Auditorium im gut gefüllten Bären Buchsi. Dann setzt er sich hinter seinen Schreibtisch mit Leselampe und beginnt zu lesen, neben sich einen prächtigen Blumenstrauss und eine Leinwand, auf welche er selbst gebastelte Dias projizieren lässt. Mehr braucht dieser rauborstige Herr nicht für seine Façon der aberwitzigen Abendunterhaltung. Das reicht, um eine Welt zu erschaffen, in der alles ein bisschen märchenhafter, frivoler, sonderbarer, und aber auch ein grosses bisschen derber ist als im richtigen Leben.
«Liebi Lüt vo Stadt und Land», so hat der Timmermahn während bisher vier «Blues & Rock Cruise»-Mittelmeerkreuzfahrten auch seine stetig wachsende Anhängerschaft begrüsst, die jeden Abend um Mitternacht ins Schiffskino der MSC Melody drängte, um diesen komischen Geschichten zu horchen. Bald arrivierte Timmermahn zum heimlichen (manchen durchaus auch etwas unheimlichen) Star dieses Traumschiffs der Berner Rock-Society. Eine Auswahl der lustigsten Geschichten seines Schiff-Engagements hat Timmermahn auf der CD «Live» verewigt, die nun im Bären in Münchenbuchsee getauft wird. Und bald wird klar: Es sind Märchen, die man keinem Kind erzählen darf, ziemlich versaute Märchen teilweise, Märchen, in denen selten das Naheliegende geschieht, auch wenn da meistens noch ein lausiges Happy End zurechtgebogen wird.
Totenmügerli-artiger Redeschwall
Die Helden in den Geschichten von Timmermahn fristen ihr Dasein grösstenteils auf dem Lande, sind liebenswerte und gut artikulierende Gestalten, die oft unverschuldet alleine leben und es mit ihrer trieblichen Ausrichtung nicht mehr ganz so genau nehmen. Das ergibt dann Erzählungen wie zum Beispiel jene von Abegglen Emil, der angeheitert nach Hause kommt, wo ihm prompt ein «grandioser Engel» erscheint. Eine gut gebaute Himmelsbotin die aus ihm «ä glückleche Bitz Mönsch» macht, weil da alles stimmt; «d Nusse, d Löif, dr Pfuigagg, und sogar d Büchse hingefür». Nachdem er sich «uschaffelig» auf den Engel gestürzt hat, sodass Zimmerlinde und Gummibaum sich genötigt sehen, taktvoll ihre Blätter wegzudrehen, stellt sich heraus, dass es sich beim Engel in Wirklichkeit um Angelika –die Angetraute von Nachbar Klöti – handelt. Dieser Klöti steht bald in der Wohnung und meldet Vorbehalte betreffend des unkeuschen Tuns seiner Ehefrau. Trotzdem ringt er sich nach einem Glas Wein und einem Rehrücken-Ragout zur Offerte durch, dass er am nächsten Tag seinerseits im Engelskostüm bei Abegglen Emil vorbeischauen könnte.
Timmermahns Geschichten sind im Grunde nicht nacherzählbar, oder wie es Peter Bichsel schrieb: «Wer Timmermahn beschreibt, tut ihm unrecht.» Er formuliert in lebendigstem Berndeutsch und steigert sich immer wieder in einen fast Totemügerli-artigen Redeschwall. Dabei fantasiert er wie ein Helge Schneider in Bestform, driftet auch schon mal ins Psychedelische ab, bleibt bei aller Abenteuerlichkeit seines Vortrags stets beherrscht in Ton und Erzählstimme. Timmermahn gibt den ernsten Chronisten ländlicher Ausschweifungen, einen als öhihafter Märchenonkel getarnten Surrealisten.
Tiere mit grossen Augen
Doch wer ist dieser Schreiber, der noch kein Buch veröffentlicht hat, der auf 930 Metern über Meer in einem prächtigen umgebauten Bauernhaus in 3088 Rüeggisberg, am südlichen Zipfel des Längenbergs, horstet? Geboren ist Timmermahn 1942 in Louisiana, danach hat es ihn in die Schweiz verschlagen, mit 16 Jahren spielte er den Tod im Totentanz zu Worb, 1971 dann sein erster Auftritt als Märchenonkel im Restaurant Weisser Wind in Zürich. Er ist seit längerem per du mit der Berner Mundartrockszene, verdient sein Geld mit dem Verkauf selbst gemalter Bilder («am erfolgreichsten sind die Bettmumpfe, die Flugmüettere und Tiere mit grossen Augen»). Er organisiert Töfftouren durch halb Europa und trägt ein Tattoo mit der Losung «Never Forgive». In sein Gesicht hat sich eine Verlebtheit eingefurcht, die man öfters sieht, bei Menschen, die im erweiterten Berner Rock-Milieu herangewachsen sind und Erfahrung mit Substanzen gemacht haben, die vom Arzt oder Apotheker nicht ohne weiteres verschrieben werden. Als er vor sechs Jahren bei «Aeschbacher» zu Gast war, bezeichnete er sich als einen Menschen, «der es etwas schwer hat, erwachsen zu werden», er sei ein eher konservativer Mensch «mit einer tollen Lebenseinstellung». Und er sei einer, der sich selber von sich überraschen lässt.
In den Geschichten seiner neuen CD ist diese Lust an der Selbstüberrumpelung jederzeit vernehmbar. Seine Märchen schlagen Haken, verwundern und bezaubern. In Münchenbuchsee gibt es denn auch noch ein bisschen Bonusmaterial zum Album: Die Geschichte eines Mannes etwa, dessen Kopf immer kleiner wird und bald Proportionen annimmt wie bei einer Giacometti-Figur, was bald von der Ehefrau beanstandet wird und einer Beurteilung des örtlichen Hausarztes bedarf … Und wenn er nicht gestorben ist, dann schrumpfet er noch heute. (Der Bund)
Erstellt: 17.10.2011, 16:15 Uhr